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  Presseberichte
  Westdeutsche Allgemeine Zeitung,  25.08.1949

Deutschlands grösste Orgel wieder in Betrieb

Blinder Organist eröffnete neuen 2000-Plätze-Konzert-Saal

Die Stadt: Gelsenkirchen hat es in dieser Notzeit fertiggebracht, in dem arg verwüsteten Hans-Sachs-Haus einen großen Konzertsaal für weit über 2000 Zuhörer zu schaffen. Die "neue Sachlichkeit" seiner Innenarchitektur ist wohl nur ein Provisorium, aber der mächtige Vorhang in Silber und Brandrot wirkt vornehm und zeugt von kultiviertem Geschmack.

Am letzten Dienstag wurde dieser Konzertsaal der Öffentlichkeit übergeben. Das geschah (mit einer kleinen Verspätung von 20 Min.) in Form einer Feierstunde, über der der Name Johann Sebastian Bach stand. Das war der Mann, bei dem die Musik anfängt und aufhört.

Bach aber ist ohne Orgel nicht denkbar. Gelsenkirchen hat eine solche wie sie keine Stadt in Deutschland hat. Diese Kostbarkeit vor der Kriegsverwüstung sichergestellt zu haben, (man trug den Pfeifenwald ab und verlagerte ihn bombensicher bei Paderborn) ist eine kulturelle Tat, zu der man die Gelsenkirchener beglückwünschen muß. Das Riesenwerk mit 5 Manualen (jedes ist eine Orgel für sich, mit eigenem Klangcharakter) 92 Registern, 22 Koppeln und über 20 Registerhilfen, muß einem Durchschnittsorganisten angst und bange machen. Es ist kaum auszudenken, welche Entwicklung die Kirchenmusik genommen hätte, wenn dem Thomaskantor eine solche Orgel zur Verfügung gestellt worden wäre Tatsächlich entfaltet sie unter den Händen eines Meisters und in diesem Saal mit Kirchenhöhe eine Kraft, eine klangliche Schönheit und einen Farbreichtum ohnegleichen. Die Macht dieser Orgel ist so groß, daß sie in kurzer Zeit die Illusion des Saales aufhebt und den Zuhörer in eine sakrale Stimmung zu versetzen vermag.

Für die Feierstunde hatte man den blinden Frankfurter Organisten Prof. Helmut-Walcha eingeladen. Es zeigte sich bald, daß er nicht nur den komplizierten Mechanismus souverän beherrscht, sondern auch neben Ramin und Sittard in Ehren bestehen kann.

Er spielte zwei Tokkaten (mit Fuge), zwei große Präludien (mit Fuge), die Trio-Sonate Nr. l (Es-dur) und drei Choralvorspiele. Eine Kritik an der Darbietung kann nur zum Ausdruck bringen, daß hier Höchstes und Letztes an Orgelkunst geboten wurde. In diesem glasklaren Spiel, der übersichtlichen Stimmführung, die scheinbar mühelos das feinmaschige Gewebe entfalteten, konnte auch der musikalische Laie unschwer erkennen, daß die Bachsche Fuge keineswegs eine so komplizierte Angelegenheit, eine Art Superkunst ist, als die sie immer hingestellt wird, sondern nichts als die fast geheimnisvolle Entfaltung und Entwicklung einer oft schlichten musikalischen Idee. Dabei hielt sich Walcha fernab von jenem kaltkonzertanten Bachspiel, das heute Mode geworden ist. Ergab bei aller Virtuosität doch immer den "frommen Bach" und mit den überfeinerten Sinnen des Blinden kam in seinem Vortrag neben der Weite und Klarheit der Gestaltung, neben dem Verlorensein an die Andacht, doch auch jener Bach zu Worte, der "fröhlich in Gott" ist. Das Ganze war ein Erlebnis.

Willibald Omansen

 

Vor dem Konzert sprach der Gelsenkirchener Oberbürgermeister Geritzmann, der mit berechtigtem Stolz auf das gelungene Werk hinwies und allen dankte, die an der Fertigstellung der Orgel und des Raumes ihren Anteil gehabt haben; dabei betonte er, daß es eine Arbeiterstadt sei, die dieses bedeutende Kulturmal besitze. Als zweiter Redner war Ministerpräsident Arnold versprochen worden, aber für die Stunde unabkömmlich. An seiner Stelle pries Ministerialdirektor Koch die Kunst des Orgelspieles und sagte, daß mit diesem Instrument die Stadt "ihre Seele wiederbekommen" habe. Die Landesregierung danke der Stadt für diese Leistung.

 

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