| Eine klanggewaltige Vision der
                  drohenden atomaren Apokalypse
                  Schmidt-Oratorium geht live über den Äther / Aufwendige
                  EigenproduktionGELSENKIRCHEN.
                  "Franz Schmidt hat eine Apokalypse vertont, wie sie uns heute
                  droht: einen atomaren Weltkrieg." So aktuell sieht und so
                  aktuell interpretiert GMD Uwe Mund das Oratorium "Das Buch mit
                  sieben Siegeln" des österreichischen Spätromantikers Franz
                  Schmidt. Die aufwendige Gelsenkirchener Eigenproduktion wird
                  am Sonntag zum Abschluß des Westfälischen Musikfestes im
                  Hans-Sachs-Haus aufgeführt und live im dritten
                  Rundfunkprogramm des WDR übertragen. Allein die
                  quantitativen Anforderungen des immerhin 75minütigen Werkes
                  sind enorm: Chor, Extrachor und Städtischer Musikverein sowie
                  das Philharmonische Orchester mit Aushilfen werden aufgeboten.
                  Hans Sotin, seit 1972 regelmäßig an den Bayreuther Festspielen
                  beteiligt, ein gefragter Gast an den bedeutendsten
                  Opernhäusern Europas und Amerikas, singt die Stimme des Herrn
                  und die Baß-Soli, Arley Reece den Johannes (für den Schmidt
                  ausdrücklich einen Heldentenor fordert). Aus dem Ensemble des
                  Musiktheaters im Revier sind neben Reece Patchel (Sopran),
                  Graciela Alperyn (Alt) und Fred Silla (Tenor) beteiligt. Die
                  Orgel spielt Johannes Kalitzke. Franz Schmidt
                  (1874-1939) steht in der Tradition von Bruckner, Mahler und
                  Strauss und zum Klangcharakter des in Deutschland selten zu
                  hörenden Oratoriums: "Er schreibt absolut harmonische,
                  spätromantische Musik, läßt aber beispielsweise in der
                  chromatischen Quadruppelfuge gewagte, komplizierte Harmonien
                  hören. Die Chorfugen sind an der Grenze der Singbarkeit. Ganz
                  im Gegensatz dazu wieder die Stimme des Herrn: einfach,
                  ergreifend, eigentlich ein Volkslied. Wenn schon ein
                  Gott-Bild, dann nur in der absolut klassischen Einfachheit." Schmidt, zu
                  Lebzeiten als Komponist der Oper "Notre-Dame" populär, war
                  Cellist der Wiener Philharmoniker unter Gustav Mahler und
                  später Rektor der Wiener Musikhochschule. Er unterrichtete
                  Cello, Klavier, Kontrapunkt und Komposition. Dem "Buch mit
                  sieben Siegeln" liegen Texte aus der Offenbarung des Johannes
                  zugrunde. Das Oratorium behandelt das Ende der Menschheit. Die
                  Bilder des biblischen Autors, der gigantische Schlachten auf
                  der Erde, zur See und in der Luft beschreibt, legen Parallelen
                  zum Szenarium eines Atomkrieges nahe. Schmidt schrieb sein
                  Oratorium, schon schwer erkrankt, 1935-1937. Uraufgeführt
                  wurde es 1938. Wenige Monate später starb der Komponist. Das Werk mit dem
                  gewaltigsten "Halleluja" seit Handels "Messias" erlangte in
                  Österreich schlagartig ungeheure Popularität. Es wurde zweimal
                  auf Schallplatte eingespielt: 1960, anläßlich des
                  Eucharistischen Weltkongresses mit Otto Wiener und Julius
                  Patzak als Stimme des Herrn und Johannes und 1974 mit Robert
                  Holl und Anton Dermota. Kürzlich brachte es bei den Salzburger
                  Festspielen der durch eine Ohrfeigen-Affäre in die
                  Schlagzeilen geratene ehemalige Bonner GMD Gustav Kühn heraus.
                  Das Werk steht, wie Bachs "Matthäus"-Passion, fast jedes Jahr
                  auf dem Programm des Wiener Musikvereins. |