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  Presseberichte
  Buersche Zeitung, 06.06.1986

Eine klanggewaltige Vision der drohenden atomaren Apokalypse

Schmidt-Oratorium geht live über den Äther / Aufwendige Eigenproduktion

GELSENKIRCHEN. "Franz Schmidt hat eine Apokalypse vertont, wie sie uns heute droht: einen atomaren Weltkrieg." So aktuell sieht und so aktuell interpretiert GMD Uwe Mund das Oratorium "Das Buch mit sieben Siegeln" des österreichischen Spätromantikers Franz Schmidt. Die aufwendige Gelsenkirchener Eigenproduktion wird am Sonntag zum Abschluß des Westfälischen Musikfestes im Hans-Sachs-Haus aufgeführt und live im dritten Rundfunkprogramm des WDR übertragen.

Allein die quantitativen Anforderungen des immerhin 75minütigen Werkes sind enorm: Chor, Extrachor und Städtischer Musikverein sowie das Philharmonische Orchester mit Aushilfen werden aufgeboten. Hans Sotin, seit 1972 regelmäßig an den Bayreuther Festspielen beteiligt, ein gefragter Gast an den bedeutendsten Opernhäusern Europas und Amerikas, singt die Stimme des Herrn und die Baß-Soli, Arley Reece den Johannes (für den Schmidt ausdrücklich einen Heldentenor fordert). Aus dem Ensemble des Musiktheaters im Revier sind neben Reece Patchel (Sopran), Graciela Alperyn (Alt) und Fred Silla (Tenor) beteiligt. Die Orgel spielt Johannes Kalitzke.

Franz Schmidt (1874-1939) steht in der Tradition von Bruckner, Mahler und Strauss und zum Klangcharakter des in Deutschland selten zu hörenden Oratoriums: "Er schreibt absolut harmonische, spätromantische Musik, läßt aber beispielsweise in der chromatischen Quadruppelfuge gewagte, komplizierte Harmonien hören. Die Chorfugen sind an der Grenze der Singbarkeit. Ganz im Gegensatz dazu wieder die Stimme des Herrn: einfach, ergreifend, eigentlich ein Volkslied. Wenn schon ein Gott-Bild, dann nur in der absolut klassischen Einfachheit."

Schmidt, zu Lebzeiten als Komponist der Oper "Notre-Dame" populär, war Cellist der Wiener Philharmoniker unter Gustav Mahler und später Rektor der Wiener Musikhochschule. Er unterrichtete Cello, Klavier, Kontrapunkt und Komposition.

Dem "Buch mit sieben Siegeln" liegen Texte aus der Offenbarung des Johannes zugrunde. Das Oratorium behandelt das Ende der Menschheit. Die Bilder des biblischen Autors, der gigantische Schlachten auf der Erde, zur See und in der Luft beschreibt, legen Parallelen zum Szenarium eines Atomkrieges nahe. Schmidt schrieb sein Oratorium, schon schwer erkrankt, 1935-1937. Uraufgeführt wurde es 1938. Wenige Monate später starb der Komponist.

Das Werk mit dem gewaltigsten "Halleluja" seit Handels "Messias" erlangte in Österreich schlagartig ungeheure Popularität. Es wurde zweimal auf Schallplatte eingespielt: 1960, anläßlich des Eucharistischen Weltkongresses mit Otto Wiener und Julius Patzak als Stimme des Herrn und Johannes und 1974 mit Robert Holl und Anton Dermota. Kürzlich brachte es bei den Salzburger Festspielen der durch eine Ohrfeigen-Affäre in die Schlagzeilen geratene ehemalige Bonner GMD Gustav Kühn heraus. Das Werk steht, wie Bachs "Matthäus"-Passion, fast jedes Jahr auf dem Programm des Wiener Musikvereins.

   

 

 

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