Notre-Dame-Organist Philippe
Lefebvre im Hans-Sachs-Haus
Ein Meister der
Improvisation
Altstadt. Im
städtischen Orgelkonzert war einer der bekanntesten
Konzertorganisten Frankreichs zu Gast: Philippe Lefebvre. seit
1985 Titelorganist an Notre Dame in Paris. Lefebvre begann mit
Bachs Passacaglia und Fuge c-Moll, einem Werk, das die
Passacaglientechnik der Barockzeit auf eine kunstvolle Höhe
steigert. Der Strenge der Komposition angemessen, registrierte
Lefebvre das Stück mit gleichwertig starken Prinzipalstimmen;
nur den durchbrochen arpeggierten Mittelteil setzte er - wie
eine Insel - mit Flötenregistern davon ab.
Kraftvoll
intonierte Lefebvre auch den großen Hauptsatz von Mendelssohns
dritter Orgelsonate A-Dur. Hier wie bei Bach war das
brillante, vorwärtstreibende Spiel des Organisten zu
bewundern; musikalische Steigerungen erreichte er hier vor
allem durch ein unmerkliches Anziehen des Tempos auf lange
Strecken hin. Beide Stücke sind indessen weniger geeignet, um
die charakteristischen Vorzüge der Hans-Sachs-Hausorgel
herauszustellen.
Das ist bei den
beiden Werken, die Lefebvre von Cesar Franck spielte, freilich
in besonderem Maße der Fall: das "Cantabile" balancierte der
Organist in feinen unterschiedlichen Farbmischungen aus -und
im "Piece heroique" nutzte er Francks assoziativen
Einfallsreichtum zu einer phantasievollen Registrier- und
Spielweise, die der Musik fast einen frei improvisierten
Anschein verlieh.
Damit verschaffte
sich Philippe Lefebvre einen nahtlosen Übergang zum letzten
Punkt seines Programms: einer eigenen Improvisation. Vor allem
als Improvisateur gewann der Künstler verschiedene große
Orgelpreise - und so durfte man hier besonders gespannt sein,
zu welcher Musik das Gelsenkirchener Jugenstil-Instrument den
Franzosen inspirieren würde.
Orgelkustos
Karl-Heinz Obernier übergab Lefebvre ein Notenblatt mit einem
ihm unbekannten Thema - einer Melodie in Moll - und nach
einigem Nachdenken begann der Franzose zu improvisieren. Er
kleidete das Thema keineswegs in tonale Harmonien, sondern
verfremdete es sogleich durch ein Geflecht von ostinaten
Klangschichtungen, die er im Verbund machtvoll steigerte -und
in die hinein er das Thema als eine Art Cantus bettete.
Lefebvre machte überdeutlich, daß er das gegebene Thema mit
seiner Hinzuerfindung von kontrapunktierenden Materialien in
eine ganz andere, viel komplexere Dimension zu überfahren
vermochte. Faszinierend war aber nicht allein der spontane
Gestaltungsreichtum, der sich zu einer dreiteiligen Großform
weitete, sondern vor allem vernahm man mit Staunen, was so ein
Improvisationsmeister aus dem Gelsenkirchener Instrument an
bislang angehörten Farbwerten und Klangkombinationen
herauszuholen vermochte.
Heinz-Albert
Heindrichs |