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  Presseberichte
  Buersche Zeitung, 11.11.1989

Klangfülle der Orgel ausgekostet

Der sowjetische Organist Harry Grodberg am restaurierten Walcker-lnstrument

 

GELSENKIRCHEN. In der neuen Reihe der Orgelkonzerte an der aufwendig: restaurierten und modernisierten Walcker-Orgel im Hans-Sachs-Haus stellte sich mit Harry Grodberg ein Organist aus der Sowjetunion vor. Wer sich im 2. Sinfoniekonzert bereits von den reichen Registrier- und Klangmöglichkeiten dieser Orgel überzeugt hatte, konnte nun seine ganze Aufmerksamkeit einer weiteren Novität widmen: der Gelsenkirchener Erstaufführung von Komponisten sowjetischer Zeitgenossen.

Mikael Tariweriew und Oleg Nizenburg zählten in ihrer Heimat zu den bekanntesten lebenden Komponisten. Folgt man dem Programmheft, so stellt man mit Verwunderung fest, daß erst in den sechziger Jahren unseres Jahrhunderts ein russischer Organist, nämlich der Solist des Abends, die Orgelwerke Bachs in der Sowjetunion vorgestellt hat. Vielleicht erklärt dieser offenkundige Mangel an russischer Orgeltradition Grodbergs Engagement für die Werke Bachs. Vielleicht liegt es aber auch an der Deutschstämmigkeit des gebürtigen Memelers, der es sich nicht nehmen ließ, einige Worte an das nicht eben zahlreiche Publikum zu richten.

Vornehm-orthodoxe Zurückhaltung kennzeichnete Grodbergs von kundiger Hand (seiner Gattin?) registrierte Bach-Interpretation. Präludium und Fuge C-Dur und die Toccata mit Fuge in d-Moll waren im ersten Teil des Konzertes zu hören. Eigentümlich erschien die nach Bachs Hinweisen vorgenommene Registrierung der Toccata mit ihrer enormen Steigerung und Temperamentausbrüchen in den Fugendurchführungen und Codi (Grodberg singt hier wie weiland Gould bisweilen mit).

Ganz in der Bachschen Tradition blieb die vorwiegend polyphon strukturierte zeitgenössisch-russische Musik .des zweiten Programmteils. So "Kassandra" von Mikael Tariweriew, der sich nach über 90 Filmmusiken auch in diesem Konzert von romantizistischer Klangmalerei nicht ganz frei machen kann. Besonders in der Intrade mit einer düster-bedeutungsschweren Ausdeutung der Kassandra-Thematik fiel dies auf. Grodberg schichtete über bedrohlich schreitendem Baß wuchtig-dissonierende Akkordblöcke.

Auch Oleg Nizenburgs "Fantasie über ein russisches Thema" läßt in der fugierten Verarbeitung das große Vorbild Bachs erkennen. Eine Grodberg-Bearbeitung eines Präludiums und einer Fuge aus einer Reihe von Klavierpräludien und Fugen Schostakowitschs, der für Orgel an sich nichts komponiert hat, beschloß den Abend. Ein "Bach-Stück russischer Art" nannte sie Grodberg in einer kurzen Ansprache.

Hier war er wieder ganz in seinem "Element". Noch einmal. demonstrierte er die ganze Klangfülle der Walcker-Orgel.

Karl Müller-Holland

   

 

 

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