Nach zwei Jahren erklang die
                  Orgel im Hans-Sachs-Haus
                  Rudolf Innigs
                  großes Spiet
                    
                  Altstadt. Nun ist
                  sie wieder mit im Spiel der Städtischen Konzerte - die große
                  Orgel im Hans-Sachs-Haus; zwei Jahre hatte man sie pausieren
                  lassen. In der Zwischenzeit hat sie einen neuen Spieltisch
                  erhalten und ist technisch gewiß leichter spielbar geworden;
                  schwieriger wird es sein, die Stammhörerschaft, nach so langer
                  Pause, wieder auf den alten Stand zu bringen. 
                  Für den neuen
                  Start hatte man Rudolf Innig gewonnen, der zur Zeit als
                  Organist und Musikschulleiter in Coesfeld tätig ist, sich aber
                  über diesen Wirkungskreis hinaus einen überregionalen Ruf als
                  Konzertspieler erworben hat. Innig begann sein Programm mit
                  Johann Sebastian Bachs Fantasie und Fuge c-Moll BWV 562, einem
                  kaum gespielten Stück, da die Fuge nur als Fragment
                  überliefert ist; Innig spielte eine von Matthias Siedel
                  ergänzte Fassung; er interpretierte Bach nicht Note für Note
                  gestochen, sondern durchaus mit subjektivem Einsatz, also
                  weniger die Struktur als den Gestaltprozeß betonend. Da
                  erschien Bach denn tatsächlich als das Vorbild von Felix
                  Mendelssohns folgender Sonate c-Moll op. 65; eine solche
                  Brücke hörbar machen zu wollen, war wohl Innigs Absicht. 
                  Mit einem Te Deum
                  für Orgel gewann der Hamburger Mathias Siedel (Jahrgang 1929)
                  im Jahre 1981 den zur Einweihung der Altenberger Domorgel
                  ausgeschriebenen Kompositionspreis. Das Werk bezieht sein
                  motivisches Material streng aus dem gregorianischen Hymnus und
                  schichtet es - in vier Blöcke gegliedert - zu harmonisch
                  geschärften, freitonalen Mixturen. Bei aller Strenge der
                  Komposition sind die Möglichkeiten der Orgel mit artistischer
                  Dramaturgie genutzt. Siedel war - als Schüler von Bialas -
                  eine der ersten Begabungen, die im Nachkriegsdeutschland vor
                  1950 auffielen; wie schön, ihm mit einem so glänzend
                  gelungenen, so eigenwilligen Stück wieder zu begegnen. 
                  Mit dem
                  vierteiligen Zyklus L'Ascension (Himmelfahrt) begründete der
                  vierundzwanzigjährige Olivier Messiaen 1932 seinen Ruf, der
                  Schöpfer einer neuen Orgelbewegung in diesem Jahrhundert zu
                  sein. Diese Musik, so kühn ekstatisch sie klingt, reißt auch
                  den Laien, der sie erstmals hört, ganz unmittelbar mit; denn
                  sie hat eine bildliche Imaginationskraft von hohen Graden -
                  das Ohr wird mit einer Übersumme von sinnlichen Eindrücken
                  überrumpelt, Übersinnliches wahrzunehmen. Ein mystischer
                  Vorgang. Rudolf Innig hat das Werk auf Schallplatte
                  eingespielt - es ist sozusagen das Ausweisstück seiner
                  Profession, mit dem er sich in jeder Nuance identifiziert.
                  Ganz ohne Zweifel brachte Messiaen nicht nur das Programm,
                  sondern auch Innigs Spiel und Interpretationskunst auf den
                  Punkt, den Höhepunkt - und hier war auch die Orgel selbst mit
                  ihren Klangbesonderheiten einmal optimal ausgelotet. Ein
                  großer Eindruck, den Innig freilich mit Max Regers geradezu
                  dramatischer Fantasie und Fuge op. 135 noch einmal zu steigern
                  vermochte. 
                  Rudolf Innig
                  erwies sich als ein von seinem Metier besessener Musiker -
                  begabt mit einem besonders ausgeprägten Sinn für rhythmische
                  und farbliche Gewichtungen, mit virtuosen Fähigkeiten und
                  großem Ausdrucksvermögen. Die Erfahrung mit diesem Konzert: da
                  kommt unvermutet ein Höchstangebot ins Haus, aber die
                  Nachfrage ist viel zu gering. Man sollte Rudolf Innig umgehend
                  wieder engagieren — mit Werken von der Spätromantik aufwärts -
                  und ihn groß ankündigen. 
                  Heinz-Albert
                  Heindrichs  |