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  Presseberichte
  Ruhr-Nachrichten, 09.05.1987

Konzert mit Gerhard Weinberger und den Bach-Vokalisten

"Wohlbestallte Music"

Altstadt. Seit der Verlegung der Sinfoniekonzerte in das Musiktheater ist der Saal im Hans-Sachs-Haus in den Hintergrund getreten und wäre wohl als Konzertsaal bald gänzlich in Vergessenheit geraten, gäbe es nicht die Orgelkonzerte.

Gerhard Weinberger, Professor für Orgel und Leiter der Kirchenmusikabteilung der Musikhochschule Detmold, und die von ihm geleiteten "Deutschen Bach-Vokalisten" führten ein Programm auf, welches eigenwillige Kontraste zeigte.

Zum einen wirken Musiken von so hohem geistlichen Format wie die Motetten "Jesu, meine Freude" und "Der Geist hilft unserer Schwachheit auf" von J. S. Bach oder das "Stabat Mater" von D. Scarlatti in einem Raum, der von Architektur und Atmosphäre der bürgerlichen Musikpflege verpflichtet ist, zunächst befremdlich. Die ausgezeichnete Akustik gibt den Veranstaltern jedoch recht, eine angenehmere läßt sich im Stadtgebiet kaum finden.

Zum anderen ordnet sich ein so überschwinglich romantisches und virtuoses Werk wie das "B-A-C-H" von Liszt nur mühsam in ein ansonsten rein barockes Programm ein. Dennoch gelang Weinberger eine in jeder Hinsicht überzeugende Lösung des Problems, indem er die stilistische Verschiedenheit der beiden Musikepochen akzeptierte und seine Spielweise danach richtete; Liszt erklang in weiten Spannungsbögen. Die für die Bachsche Orgelmusik zutreffende, historisierende Spielweise im Non-Legato zeichnete Weinbergers Interpretation des "Toccata, Adagio und Fuge C-Dur" aus, die die Artikulation der musikalischen Figuren in den Vordergrund stellte. Weinberger konnte dies trotz der stumpfen Klangeigenschaften und der extrem ungenauen Traktur der Konzertorgel in bemerkenswerter Weise realisieren.

Dem Musizieren nach Erkenntnissen aus dem Studium historischer Quellen haben sich auch die "Deutschen Bach-Vokalisten" verschrieben. Die zahlenmäßige Besetzung entspricht dem Bachschen "Entwurf einer wohlbestallten Kirchen Music" von 1730. Beeindruckend ist das große Potential des Chores angeschulten und ausgezeichneten Stimmen, die einen hervorragenden Gesamtklang ausmachen, wozu aber auch entscheidend die Verwendung männlicher Sänger im Alt beiträgt. Altus-Stimme oder Falsett ist für die barocke Literatur besonders zutreffend, weil sie in dieser Lage mehr Spannung aufwenden muß als eine Frauenstimme und sich so auch von der Intonation her positiv bemerkbar macht. Sehr organisch wirkte auch die solistische Besetzung Altus, Tenor und Baß im Satz "So aber Christus in euch ist" in "Jesu, meine Freude".

Das "Stabat Mater" von Scarlatti erscheint dem Ensemble geradezu auf den Leib geschrieben. Immer neue Stimmkombinationen werfen das Licht auf die Qualitäten der einzelnen Sänger. Von der im sehr informativen Programmblatt erwähnten, mit Quellenzitat (Agricola) belegten Singweise, der "Messa di Voce", war allerdings nicht zu hören. Trotzdem: ein wundervolles Konzert, der anhaltende Schlußapplaus hatte seine volle Berechtigung.

Karl-Josef Kroll

   

 

 

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